Geschrieben von: Sabine Ruthenfranz
Fachjournalistin Heimtier-Marketing & Katzenmedizin

Ganz gleich ob es um die Online-Reputation, also um den Ruf eines Unternehmens/einer Person im Internet, oder um die Bewertung eines Produktes/einer Dienstleistung geht: Immer geht es um die Sterne. Seit Amazon sozusagen als „Kampfstern Galactica“ die Bewertungsthematik nach vorne getrieben hat, scheint die Qualität nebenrangig geworden zu sein, denn alle Welt schielt nur noch auf die gelben Sternchen. Ich irgendwie auch. Ganz gleich, ob es um einen neuen Staubsauger oder ein Kochbuch geht – die Sterne beeinflussen immer die Kaufentscheidung. Irgendwie. Obwohl ich es eigentlich besser wissen müsste.

Bewertungen als Schulfach

Eigentlich müsste es bereits in der Schule ein Fach über den Umgang mit und das Erstellen von Bewertungen geben, denn schließlich sind wir alle dort zum ersten Mal dem Bewertungsdruck ausgesetzt. Kennst du das? Ein Schüler geht enttäuscht zum Lehrer und fragt, warum er denn nur eine 2+ (gut) für seine Arbeit bekommen hat und keine 1 (sehr gut), obwohl er am Aufsatz keinerlei negativen Anmerkungen unter die Arbeit geschrieben hat. Darauf antwortet der Lehrer: „Ich vergebe grundsätzlich keine 1er.“ Punkt. Der nächste Schüler hingegen freut sich, weil ein anderer Lehrer ihm eine 3 (befriedigend), an Stelle einer 4 (ausreichend) gegeben hat. Kein großes Drama, aber was lernt man als Schüler daraus? Das Glück im Leben eine Rolle spielt? Oder das man sich gar nicht anstrengen muss, weil der „Bewertende“ ohnehin macht was er will? Das Gleiche gibt es auch mit beruflichen Zwischen- oder Abschlusszeugnissen. Ich selbst habe es am eigenen Laib zu spüren bekommen, als es einmal um ein Zwischenzeugnis ging. Man war ausgesprochen zufrieden mit meiner Arbeit, hat mich gelobt und dann: „Du bist die Beste! Gut!“ „Warum dann kein Sehr gut?“ „Weil ich grundsätzlich kein Sehr gut vergebe!“ Hmmmmm…

 

Intention von Bewertungen

Wenn man sich einen Teil der Bewertungen oder Rezensionen auf den hiesigen Onlineplattformen ansieht, findet man ein ähnliches Szenario. Da werden Produkte in der Bewertung in den höchsten Tönen gelobt. „Tolles Bügeleisen, das beste was ich je hatte und meine Wäsche bügelt sich damit wie von selbst. Ich spare nun jede Woche mehrere Stunden Arbeit, nur durch dieses sensationelle Bügeleisen…“ Und dann Bewertung: 4 Sterne (von 5 möglichen). Ähm, sind das alles „Lehrer“ (nur ein Platzhalter aufgrund der obigen Geschichte, nicht böse gemeint) die keine 1er vergeben? Oder sind das missgünstige Menschen, die denken, dass der Anbieter mit einem Stern mehr dann sofort reich auf einer Insel sitzt und nicht mehr arbeiten muss? Oder ist es einfach Gedankenlosigkeit? Oder bloß falsch geklickt? Oder fehlt da tatsächlich noch ein Feature im Produkt, was es dann auf die 5 Sterne bringen würde?

 

Bewertung von Billigprodukten

Bei manchen Bewertungen, insbesondere im Niedrigpreissegment, kann auch schon mal die Frage aufkommen, warum da überhaupt jemand eine Bewertung schreibt. Denn gefällt das Produkt, ist alles fein. Und gefällt es nicht, könnte man es ja eigentlich auch zurückgeben. Kann der Unmut mit einem schlechten oder als schlecht empfundenen Niedrigpreis-Produkt wirklich so groß sein, dass man hierfür wirklich eine Negativbewertung verfassen muss?

Dann gibt es aber auch noch sehr schlechte Bewertungen für Produkte, die jemand gar nicht bekommen hat. Das ist bei mir mal passiert. Es hatte jemand zwar AUF Amazon aber nicht BEI Amazon eines meiner Bücher bestellt, welches dann offenbar nicht geliefert wurde. Zack und ich hatte meine erste 1-Sterne Bewertung für das Buch. Amazon hat diese Bewertung später herausgefiltert. Aber anders herum geht es natürlich auch. Eine Leserin schrieb mir einmal ganz enttäuscht, sie habe sich richtig viel Zeit genommen und mit viel Mühe eine Rezension für eines meiner Bücher verfasst. Nun wolle sie mir noch mal persönlich ihren Dank für das Buch aussprechen, denn die Rezension wurde von Amazon gelöscht oder nicht zugelassen. Jedenfalls konnte man sie innerhalb der Bewertungen nicht mehr sehen. Echt schade.

 

Qualität von Bewertungen

Eine weitere Schattenseite der Bewertungen sind Rezensenten, die das Produkt gar nicht verstehen und auf dieser Basis bewerten. Warum sie es nicht verstehen, ist an dieser Stelle nebensächlich. Ich möchte damit nur darauf hinaus, dass Thekenwissen (Halbwissen) und unseriöse Informationsquellen teils mit unglaublichem Selbstbewusstsein vorgetragen werden und andere Käufer damit stark verunsichern. Wem darf/kann man denn noch Glauben schenken? Ich weiß sogar von einer Arztpraxis, dessen Praxismanager auf einer Bewertungsplattform für Ärzte die eigene Praxis eigenhändig „hochbewertet“ hat, weil es dort keine Mechanismen gab die Bewertungen zu reglementieren. Ich weiß auch von einer anderen Praxis die, wenn man nach dieser Praxis googelt, extrem schlecht abschneidet, obwohl sie in Wahrheit exzellente Dienste leistet. Das ist doch irgendwie verrückt.

 

Auswirkungen auf die “Bewerteten”

Vor gar nicht allzu langer Zeit habe ich ein Seminar bei einem Experten besucht, der auch einige Bücher zu seinem Thema veröffentlich hat. Diesen Experten kannte ich vor Besuch des Seminars nur durch seine Bücher und war sehr überrascht, als er sich innerhalb der ersten 30 Minuten des Seminars sehr lange über die Negativbewertungen seiner Bücher ausgelassen hat. Diese hatten ihn ganz offensichtlich persönlich getroffen und verletzt, was ich gut verstehen kann. Seither beschäftigt mich, was diese Bewertungen „aus ihm“ gemacht haben und die Frage, wie sehr sie seinen Werdegang tatsächlich beeinflusst haben. Denn er schien äußerst verbittert und vor allem enttäuscht darüber zu sein, was ihm da widerfahren war.

Gekaufte Sterne

Der Supergau für Anbieter und Käufer gleichermaßen sind schließlich die gekauften, positiven Bewertungen und die gekauften oder forcierten Negativbewertungen. Hier wird dann quasi alles ad absurdum geführt. Auch wenn Amazon und Co. Mechanismen nutzen, um diesem Treiben vorzubeugen oder im Nachhinein zu filtern. Da werden Mitbewerber von ihrer Konkurrenz mit schlechten Bewertungen regelrecht „beschossen“, so dass sie sich nur schwer auf legalem Wege, also ohne erkaufter Bewertungshilfe, davon erholen können. Echte Bewertungen werden aus welchen Gründen auch immer für gekauft gehalten. Und gekaufte, Gute wie Schlechte, fallen durch des Reglementierungsraster. Es gibt nichts, was es nicht gibt.
Fern ab der Sterne kann man sich als Unternehmen dann auch noch Titel von namhaften Zeitschriften kaufen und sich als „Top-Unternehmen für xy“ feiern lassen. Ich fürchte, das weiß leider nicht jeder, der sich an den beliebten Sternen und Gütesiegeln orientiert.

Das Schlimme daran ist, dass man als Anbieter gar keine Chance hat sich aus dem Sterne-Wirrwarr herauszuziehen. Es reicht definitiv nicht, den Kopf in Sand zu stecken, sonst bleiben die Kunden plötzlich weg und keiner weiß warum. Also muss man mitspielen und darauf hoffen, dass der gesunde Menschenverstand, Ehrlichkeit und Anstand zumindest im Durchschnitt die Nase vorn haben.